Deutschland: Fahrräder im Ansturm

Bei jedem Tritt in die Pedale quietscht die Kette seines Fahrrads leicht. Der Sattel ist für seinen Geschmack etwas steif und die Bremsen sind manchmal schwergängig. Aber das ist egal, Hauptsache, man ist dabei und nimmt an dieser politischen Geste teil. Rechts von ihm steht ein anderes Fahrrad, links von ihm auch. Vorne, hinten, überall! Die Fahrräder folgen einander fröhlich durch die Stadt, die es nicht gewohnt ist, dass ihre Fahrbahn völlig von kleinen Königinnen überschwemmt wird.

Es handelt sich um eine umweltfreundliche Fahrraddemonstration, die an jedem letzten Freitag des Monats in fast 300 Städten weltweit stattfindet. In Deutschland gehören Berlin und Hamburg zu den Städten, in denen die "Critical Mass" am imposantesten ist.

In dem auf der Website der Bewegung veröffentlichten Manifest heißt es: "Ziel ist es, eine kritische Masse zu erreichen, damit dem motorisierten Verkehr auf gleicher Augenhöhe begegnet werden kann".

Die 1992 in San Francisco entstandene Bewegung Critical Mass ist auf besondere Weise organisiert: Sie hat keine Organisation. Es gibt nie eine im Vorfeld geplante Route, kein Ziel auf der Strecke, keine offiziellen Sprecher, keine Anführer und keine Organisatoren. Jede Ausgabe ist anders als die letzte. Das einzige unveränderliche Element ist der Treffpunkt. In Berlin zum Beispiel treffen sich die Radfahrer jedes Mal um 20 Uhr am Heinrichplatz.

Die Teilnehmer streben danach, die Stadt neu zu erfinden. In erster Linie in ökologischer Hinsicht. "Die Nutzung von Elektroautos wird sich weiter ausbreiten und damit auch die Nutzung von Privatfahrzeugen, egal wie stark die moralische Missbilligung der Radfahrer gegenüber den Autofahrern ist. Eine bessere Strategie könnte darin bestehen, die Fahrt mit dem Fahrrad zu einer so angenehmen Alternative zu machen, dass die Menschen lieber Fahrrad fahren, als sich in ein Auto zu setzen, auch wenn es noch so umweltfreundlich ist". Das Motto ist klar: Den Verkehrsteilnehmern soll gezeigt werden, dass das Fahrrad eine praktikable und vorzuziehende Alternative ist!

Die Demonstration nimmt für sich in Anspruch, friedlich zu sein, und die Polizei lässt sie gewähren. Das Berliner Polizeipräsidium hat dennoch einen Gastbeitrag in der Tageszeitung Der Tagesspiegel veröffentlicht, um klarzustellen, dass es keine Garantie dafür gibt, dass ihre Nachsicht ewig die Norm bleibt.

Die Bewegung ist Teil eines wirklich globalen Ansatzes, einer Vision für die Stadt von morgen, die über den reinen Umweltschutz hinausgeht und eine Rückbesinnung auf den "Gemeinschaftsgeist", den das Fahrrad verleihen kann, befürwortet. Laut dem Manifest der Bewegung ermöglicht das Radfahren, mit anderen Verkehrsteilnehmern zu sprechen, anzuhalten, um einen Nachbarn zu grüßen oder einer Passantin beim Tragen ihrer Einkäufe zu helfen. Das Fahrrad wäre also der Schlüssel, um unsere Städte in umweltfreundlichere, aber auch menschlichere Räume zu verwandeln. Daher auch der Slogan der Critical Mass-Bewegung: "Wir sind nicht gegen den Verkehr, wir sind der Verkehr".